Mehr Arbeitssicherheit durch Verhaltensoptimierung Unternehmenskultur verbessern – mit der Bradley-Kurve Autor: Gero Appel
Arbeitssicherheit wird oft als reine Management-Aufgabe betrachtet. Dabei wissen nur wenige Führungskräfte, dass die Arbeitssicherheit im Unternehmen direkt im Zusammenhang mit der Unternehmenskultur steht. Je besser dabei die Unternehmenskultur gelebt wird, desto geringer fällt die Unfallwahrscheinlichkeit aus. Was das genau bedeutet, wie ihr als Unternehmer:innen die Unternehmenskultur sowie den Reifegrad eures Unternehmens verbessert und wie genau euch die Bradley-Kurve dabei helfen kann, schauen wir uns hier an.
Themen in diesem Beitrag
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Wofür steht die Bradley-Kurve?
Die Bradley-Kurve wurde im Jahr 1995 von einem DuPont-Mitarbeiter namens Berlin Bradley entwickelt. Er sammelte theoretische Erkenntnisse in einer Matrix zusammen und war in der Lage, diese anschließend wissenschaftlich zu belegen.
Was Berlin Bradley erkannte, war der direkte Zusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Unternehmenskultur. Mithilfe der Bradley-Kurve sollten Unternehmer:innen die Sicherheitskultur ihrer Unternehmen beurteilen können, um anschließend Möglichkeiten zur Verbesserung zu finden. Grundlegend lässt sich durch die Bradley-Kurve Folgendes klar erkennen:
Arbeiten eure Mitarbeitenden motiviert, sind in der Lage, sich mit eurem Unternehmen zu identifizieren und dürfen Verantwortung übernehmen, passieren deutlich weniger Arbeitsunfälle. Dank der Bradley-Kurve konnte zum ersten Mal nachgewiesen werden, dass die Arbeitssicherheit tatsächlich direkt mit dem Reifegrad der Unternehmenskultur zusammenhängt. Damit ließ sich auch gleichzeitig herauslesen, wie zukunftsfähig die Unternehmenskultur aufgebaut war.
Wie funktioniert die Bradley-Kurve?
Die Bradley-Kurve basiert auf einer grundlegenden Theorie: Die meisten Arbeitsunfälle geschehen durch menschliches Verhalten, bzw. werden dadurch nicht verhindert. Tatsächlich gehen aus den Statistiken der Berufsgenossenschaften und anderer, international tätiger, Organisationen hervor, dass der Anteil persönlichen Verhaltens an Arbeitsunfällen mehr als 85 % ausmacht. Möchtet ihr als Arbeitgeber:innen die Arbeitsunfälle in eurem Unternehmen senken, müsst ihr diese Zahl dabei als Faktor betrachten.
Ein erster, wichtiger Bestandteil zur Anwendung der Bradley-Kurve ist dabei zu erkennen, wie eure aktuelle Unternehmenskultur aussieht. Je nachdem, wie euer Unternehmen mit Unfallsituationen umgeht, wird euer Unternehmen in verschiedene Bereiche der Bradley-Kurve unterteilt.
Die 4 Stufen der Bradley-Kurve
Die Bradley-Kurve zeigt vier verschiedene Stufen der Sicherheitskultur. Euer Unternehmen befindet sich in einer dieser Kategorien und kann sich entsprechend weiterentwickeln. Der Diplom-Ingenieur und Führungskräftecoach für Arbeitssicherheit Stefan Bartel sagt dazu, dass nur Unternehmen, die sich mindestens auf der dritten Stufe der Bradley-Kurve befinden, wirklich wandlungs- und zukunftsfähig sind.
Auf der ersten Stufe finden sich Unternehmen mit großer Unfallhäufigkeit. Betriebe, die sich in der vierten Stufe einreihen können, haben hingegen wenige oder überhaupt keine Unfallereignisse zu beklagen. Jede dieser Stufen sowie der Stufen dazwischen lassen sich durch eine Verhaltensgrundlage in eurem Unternehmen charakterisieren. Die Frage, die dabei gestellt wird, lautet: Worauf bauen eure Mitarbeitenden, wenn es darum geht, Unfälle zu vermeiden – auf Instinkte, Regeln und Überwachung, Eigenverantwortung oder Gruppenverantwortung? Hier listen wir euch einmal alle vier Stufen der Bradley-Kurve auf:
- Stufe 1: Reaktive Arbeitssicherheit auf Basis von Instinkten
Unternehmen auf dieser Stufe verzeichnen eine hohe Anzahl an Arbeitsunfällen. Mitarbeitende sehen sich hier nicht in der Verantwortung zum Arbeitsschutz beizutragen. Unfälle werden hier als unvermeidbar angesehen und Sicherheit ist eine Frage des Zufalls. - Stufe 2: Abhängige Arbeitssicherheit auf Basis von Regeln und Überwachung
Eine Führungskraft oder das Management schreibt hier gewisse Regeln zur Arbeitssicherheit vor. Mitarbeitende befolgen diese Regeln und die Führungsebene erwartet eine Senkung der Arbeitsunfälle durch Druckausübung, sowie Überwachung. - Stufe 3: Eigenverantwortliche Arbeitssicherheit durch Selbstverständnis der Mitarbeitenden
Auf dieser Stufe hat jeder Mitarbeitende, ob Führungskraft oder Arbeiter:in erkannt, das Arbeitssicherheit vor allem ihrer Gesundheit gelten und nehmen diese deswegen als persönliche Angelegenheit an. Durch entsprechende Übernahme von Verantwortung entwickelt sich ein tieferes Verständnis der Maßnahmen zur Arbeitssicherheit. - Stufe 4: Gegenseitige Verantwortung durch Arbeitssicherheit und Gesundheit als gemeinsamer Wert
Mitarbeitende übernehmen auf Stufe nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für andere. Geringe Standards sind Vergangenheit und ein Verständnis für die Null-Unfallquote sowie einer gesunden Teammoral wurden verinnerlicht.
Was bedeutet eigentlich Unternehmenskultur?
Um Mitarbeitende nachhaltig zu schützen, wenden Unternehmen verschiedenste Maßnahmen, Methoden und Verfahrensweisen an, um die Arbeitssicherheit zu verbessern. Diese verfolgen dabei alle dasselbe Ziel: Ein weitreichend sicheres und gesundes Arbeitsumfeld. Um dieses zu erreichen, werden Erklärungsschemata eingesetzt, wie die Bradley-Kurve oder die Unfallpyramide. Sie alle haben einen bestimmten Anspruch: Mehr Unternehmens- und Sicherheitskultur im Unternehmen. Doch was heißt das genau?
Die Unternehmenskultur basiert auf einem System geteilter Werte und Normen, die in einer Organisation gemeinsam gestaltet werden und anschließend in Beziehung zu anderen Menschen oder Organisationen gestellt werden. Sie hat damit also nicht nur Einfluss auf die geistigen und materiellen Güter eures Unternehmens, sondern auch darauf, wie Teilnehmer:innen innerhalb der Organisation handeln. Anhand zwei einfacher Fragen lässt sich die Organisationskultur fassen:
- Wofür steht die Organisation?
- Was ist der Organisation wichtig?
Die Sicherheitskultur bezieht sich nun explizit auf das Verhalten rund um den Arbeitsschutz. Führungs-, Kommunikations- und Organisationsqualitäten stehen dabei im Vordergrund. Die dabei vermittelten Werte prägen das Verhalten der Mitarbeitenden, welche wiederum das Endergebnis beeinflussen.
Eine positive Unternehmens- und Sicherheitskultur wirkt sich dabei nicht nur auf die Sicherheit eurer Mitarbeiter:innen aus: Auch Zufriedenheit spielt bei der Sicherheits- und Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Eure Beschäftigten werden zufriedener, was im Umkehrschluss bedeutet: leistungsfähiger und -bereiter. Dies steigert nicht nur die Unternehmensentwicklung, auch die Wahrscheinlichkeit zu kündigen sinkt im direkten Zusammenhang mit der Unternehmenskultur.
Was beeinflusst das Verhalten von Mitarbeitenden?
Das Verhalten eurer Mitarbeiter.innen setzt sich aus privaten und betrieblichen Faktoren zusammen. Drei Faktoren sind dabei hauptverantwortlich:
- Die innere Einstellung eines Menschen:
Im Laufe ihres Lebens haben eure Mitarbeiter:innen eine gewisse Einstellung erworben und bringen diese nun mit in euer Unternehmen. - Die Qualität der Führung:
Unterschiedliche Führungsstile haben ganz unterschiedliche Auswirkungen auf das Verhalten der Mitarbeitenden. Was die Führungsebene anordnet, vorlebt und zulässt, beeinflusst und prägt euer Unternehmen. Die Qualität der Arbeit von Führungskräften spiegelt sich damit direkt in der Unfallhäufigkeit wieder. - Die Unternehmenskultur:
Das Verhalten eurer Mitarbeitenden ist immer ein Spiegel eurer Unternehmenskultur. Besonders betrifft dies das gewünschte Verhalten, welches von der Mehrheit oder der Führungskräfte als angemessen angesehen wird.
Auf die innere Einstellung habt ihr als Arbeitgeber:innen zunächst geringen Einfluss. Wollt ihr nun euer Unfallgeschehen verändern, solltet ihr besonders bei der Führung, sowie der Unternehmenskultur ansetzen. Bei längerer Arbeitszeit nehmen eure Mitarbeitenden einen Teil davon auf und integrieren sie in ihre innere Einstellung, sie wird also indirekt mitbeeinflusst. Je nach Ergebnis eurer Unternehmensanalyse könnte auch ein Überdenken oder eine Veränderung der Führungsstile infrage kommen, um das Ansehen der Führungsebene dauerhaft zu steigern.
Wie lässt sich euer Unternehmen durch die Bradley-Kurve weiterentwickeln?
Seit einigen Jahren wurde die DuPont-Kurve aus den USA in die deutsche Kultur übertragen. Um die Bradley-Kurve in eurem Unternehmen erfolgreich anzuwenden, solltet ihr euch zunächst einige Fragen stellen:
- Welche Position hat euer Unternehmen bzw. eure Unternehmenskultur aktuell auf der Bradley-Kurve und welche Handlungsansätze lassen sich daraus ableiten?
- Wie könnt ihr eine sichere Unternehmenskultur entwickeln und Verbesserung beim Teamgedanken aufbauen?
- Wie könnt ihr als Führung den Kulturwandel im Betrieb weiter fördern?
Die Bewertung eures Unternehmens sollte jedoch nicht nur durch euch oder euer Management stattfinden. Unterrichtet eure Mitarbeitenden über die Bradley-Kurve und lasst sie eine (anonyme) Stellungnahme abgeben, wo sie euer Unternehmen auf der Bradley-Kurve einordnen. Oft lassen sich zwischen Management und Mitarbeitenden deutliche Unterschiede erkennen.
Bestimmt den Reifegrad eures Unternehmens und erkennt entsprechende Maßnahmen
Jede Stufe der Bradley-Kurve definiert eine Verhaltensgrundlage, nach der eure Mitarbeitenden arbeiten und auch möglichen Arbeitsunfällen begegnen. Die Einstellung eurer Mitarbeitenden ist dabei entscheidend, um auf der Bradley-Kurve aufzusteigen. Betrachtet dafür den Umgang von eurem Management, euren Führungskräften und Mitarbeiter:innen mit der Unfallhäufigkeit im Unternehmen. Je nach Einstellung solltet ihr eure Führungskräfte und/ oder eure Mitarbeitenden zur Arbeitssicherheit sensibilisieren. Damit geht ihr den ersten wichtigen Schritt der Unternehmensentwicklung.
Doch nicht nur Sensibilisierung ist ein wichtiger Bestandteil, um die Arbeitssicherheit im Betrieb zu verbessern. Die Motivation eurer Mitarbeitenden ist ein entscheidender, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil, um die Arbeitssicherheit zu verbessern. Nur motivierte Mitarbeiter:innen verinnerlichen das Gelernte und wenden es dann täglich an, auch noch Wochen oder Monate nach der Unterweisung. Regelmäßige Unterweisungen mit hohem Wissenstransfer zum Thema Arbeitssicherheit übernehmen dabei dennoch ebenfalls einen wichtigen Part für mehr Sensibilität bei den Mitarbeitenden.
Verantwortung an Mitarbeitende übergeben
Um die Motivation eurer Mitarbeiter:innen dauerhaft zu steigern, hilft es, ihnen entsprechende Verantwortung zur Arbeitssicherheit zu übertragen. Diese Verantwortung verbessert nicht nur die Leistung und verringert die Unfallhäufigkeit, sie bestärkt eure Mitarbeiter:innen in ihrem Beruf und gibt ihnen das Gefühl von Wertschätzung. Eure Mitarbeitenden müssen verstehen, dass ihr das Thema Arbeitssicherheit nicht nur intensiviert, um gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen, sondern der Arbeitsschutz ganz ihnen und ihrer physischen sowie psychischen Gesundheit dient.
Auf diese Art übernimmt jeder Mitarbeitende Eigenverantwortung für sich und seine eigene Gesundheit. Die Erkenntnis hält Einzug: Arbeitsschutz dient mir als Arbeiter:in.
Vereint Mitarbeiter:innen zu einem Team
Teambuilding im Unternehmen ist ein wichtiger und finaler Schritt für die vierte Stufe der Bradley-Kurve. Eure Mitarbeitenden erweitern ihr Bewusstsein für Arbeitssicherheit und dehnen es von sich auf andere aus. Gesundheit ist ein Wert, den alle wertschätzen und zur Erhaltung übernehmen eure Mitarbeiter.innen gegenseitige Verantwortung. Um diesen Punkt zu erreichen, empfehlen sich verschiedene Teambuilding-Events und Team-Aktivitäten. Auch so etwas wie gemeinsame Grillabende zählen dazu. Diese haben zwar nichts mit Arbeitssicherheit im Eigentlichen zu tun, schaffen jedoch ein Team-Verständnis und bringen euch und eure Mitarbeitenden näher zusammen.
Wie lässt sich verbesserte Kommunikation im Unternehmen integrieren?
Der wichtigste Schritt, um die Kommunikation in eurem Unternehmen zu verbessern, ist eine flachere Hierarchie. Indem Führungskräfte und Management für Mitarbeitende besser erreichbar sind, verbessert sich die Kommunikation untereinander. Auch Kritikfähigkeit und Offenheit bei Problemen oder Meinungsverschiedenheiten werden schnell durch offene Kommunikation belohnt.
Die Unfallpyramide nach Herbert William Heinrich
Die Unfallpyramide ist ein statistisches Instrument zur Auswertung und Verbesserung von Unfallkennzahlen. Erfunden wurde sie in den 1930er-Jahren von Herbert William Heinrich. Er untersuchte auf empirischer Basis die Arbeitssicherheit in der amerikanischen Industrie. Dabei ging es ihm um eine Verdeutlichung des Verhältnisses von schweren Unfällen zur Unfallhäufigkeit.
Die Unfallpyramide visualisiert die Zusammenhänge und Normalverteilungen zwischen fatalen bzw. schweren Unfällen, leichten Unfällen und Beinaheunfällen. Herbert W. Heinrich erkannte bei der Analyse von 550.00 Unfällen ein fast konstantes Verhältnis von fatalen und Beinaheunfällen. Die “1-29-300-Relation” ging dadurch als Heinrichs Gesetz in die Literatur ein. Sie bedeutet, dass auf einen schweren Unfall 29 geringe und 300 Beinaheunfälle kommen. Diese Relation wird seitdem in einer Pyramide dargestellt, um das Verhältnis der Unfälle zueinander zu verdeutlichen.
Wie wird die Unfallpyramide im Unternehmen angewendet?
Die Pyramide zeigt deutlich und eindrucksvoll, dass die Reduzierung von Beinaheunfällen oder auch leichten Unfällen direkten Einfluss auf die Häufigkeit von schweren oder fatalen Unfällen hat. Der Schluss, den eure Mitarbeitenden daraus ziehen können, ist die Wichtigkeit der Meldung von leichten Unfällen und sogar Beinaheunfällen. Denn auch wenn niemandem etwas passiert ist, wird die Statistik verfälscht.
Eine geringe Anzahl an gemeldeten Beinaheunfällen lässt sich somit nicht mit wenig Vorkommnissen gleichsetzen. Berücksichtigt man dabei die Wahrscheinlichkeiten der Pyramide, werden Beinaheunfälle oft nicht gemeldet. Je flacher euer Unternehmen die Unfallpyramide gestalten kann, desto besser. Aus den entstehenden Beinaheunfällen lassen sich entsprechende Sicherheitsmaßnahmen einleiten, um schweren Unfällen vorzubeugen. So resultiert ein hoher Anteil an Beinahe- oder leichten Unfällen gegenüber wenigen schweren Unfällen. Daraus lassen sich möglichst sichere Arbeitsprozesse ablesen, sowie eine gesunde Unternehmenskultur.
Als Führungskraft liegt eure Aufgabe bei Einsatz der Unfallpyramide darin, eure Mitarbeitenden zu motivieren, jeden Beinaheunfall zu melden. Dafür solltet ihr das Melden solcher Vorkommnisse möglichst einfach gestalten an eure Mitarbeitenden appellieren.
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